Wahlprogramm-Analyse: Grüne Liberalisierungsskeptiker

Es muss eine undankbare Aufgabe gewesen sein, nach einem Titel zu brainstormen, der noch nicht besetzt war. „Zukunftspakt zwischen der EU und Afrika“ haben die Grünen schließlich das Projekt getauft, das das Verhältnis der beiden Kontinente neu austarieren soll. Der Name erinnert trotzdem stark an die Marshallpläne und Compacts mit Afrika, mit der sich die Union brüstet. Inhaltlich könnten sie jedoch unterschiedlicher kaum sein.

Beide Parteien haben jene Pläne auch in ihre Wahlprogramme geschrieben, die ich in einer Artikelserie auf ihre Aussagen zu Afrika untersuche. Im Gegensatz zur Union (Teil 1) setzen die Grünen weniger auf Investitionen in Infrastruktur, Industrie und große Landwirtschaftsprojekte. Der faire Handel sei der Schlüssel zur Entwicklung in Afrika – insofern er denn mit ökologischen Zielen vereinbart wird. „Wirtschaftlicher Prosperität und neuem Wohlstand stehen Ungleichheit und ökologischer Raubbau gegenüber“, formuliert die Partei ihre traditionelle Skepsis an einer allzu liberalen Marktwirtschaft.

Das Programm wird vergleichsweise konkret. „Nach wie vor fischen europäische Trawler die Meere vor Afrikas Küsten leer und gefährden damit nicht nur das Meeresökosystem, sie nehmen auch den Fischer*innen vor Ort ihre Lebensgrundlage“, schreibt die Partei und fordert einen Abbau der „Überkapazitäten“ der europäischen Fangflotte, eine ökologische und soziale Gestaltung der Fischereiabkommen, sowie nutzungsfreie Meereschutzgebiete.

Die Partei will die Handelsverhältnisse zwischen Afrika und der EU insgesamt umkrempeln. „So hat zum Beispiel der Export von Milchpulver, Tomaten oder Hähnchenteilen aus der EU die heimische Produktion in Westafrika verdrängt“, kritisieren sie und fordern nicht nur ein Ende der subventionierten Produkte, sondern den Stopp und eine Neuverhandlung der Economic Partnership Agreements. Nur so könnten afrikanische Länder einen geschützten Raum aufbauen, um ihre Wirtschaft aufzubauen.

Damit stehen die Grünen zwischen der Linken (Teil 3), die Freihandelsabkommen grundsätzlich für Teufelszeug erklärt und der SPD (Teil 2), die erst einmal deren Zweck prüfen und gegebenenfalls nachbessern möchte. Dabei verschweigen die Grünen dem Wähler die Komplexität jener Abkommen. Sie sind das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und den jeweiligen regionalen Zusammenschlüssen afrikanischer Staaten – und kein einseitiges Diktat, wie mit solchen Sätzen suggeriert wird: „Die EU sollte für Entwicklungsländer Zölle auf verarbeitete Produkte senken oder ganz abschaffen, damit diese ihre Wirtschaften breiter aufstellen und mehr Gewinn im Land halten können“. Die meisten afrikanischen Länder möchten kein plötzliches Ende jener Abkommen. Dies würde sie auf die Vorgaben der Welthandelsorganisation zurückwerfen – und den erleichterten Marktzugang zu europäischen Märkten zunichte machen. Diskutieren über die Fairness jener Kompromisse lässt sich dennoch.

Wie auch Die Linke erteilen die Grünen den Flüchtlingszentren in Nordafrika eine energische Absage. „Wir lassen nicht zu, dass sich die EU ihrer Probleme entledigt, indem sie Flüchtlinge in den Lagern Nordafrikas verelenden lässt.  Die falsche Politik des EU-Türkei-Deals darf keine Blaupause für neue Abkommen mit Staaten in Afrika und dem Nahen Osten sein“. Zumindest was die Prioritäten im Programm angeht, meinen die Grünen es mit dem Titel des zweiten Kapitels ernst: „Welt im Blick“. Im Gegensatz zur SPD thematisieren sie Außenpolitik, globale Umweltpolitik und internationale Handelsverhältnisse im vorderen – und nicht erst im hinteren Teil ihres Wahlprogramms.

Bisher in der Artikelserie erschienen:

  1. Wahlprogramm der CDU: Afrikapolitik aus Eigeninteresse
  2. Afrikapolitik der SPD: Zeit für mehr Selbstkritik
  3. Die Linke und Afrika: Das Anti-Unions-Programm

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